Kritische Nährstoffe: Vitamin B12 – Die Achillesverse in der pflanzenbasierten Ernährung?

Nur weil man vegan is(s)t, mutiert man nicht automatisch zum Gesundheitsexperten mit brennender Leidenschaft für Ernährung.
Aber egal, ob man mit einem grünen Smoothie in den Tag startet oder mit der Pizza von letzter Nacht ­ – um Vitamin B12 sollte man sich auf jeden Fall kümmern.
Zum Glück ist das Ganze weder besonders schwer, noch kompliziert. ­ Man sollte sich nur für eine sichere Vitamin-B12-Quelle entscheiden und den eigenen Status regelmäßig beim Hausarzt überprüfen lassen.

Aber warum hat das Vitamin so eine Sonderstellung?

Menschen können Vitamin B12 nicht selber herstellen – ­ Tiere allerdings auch nicht. Das übernehmen Mikroorganismen, vor allem Bakterien. Diese leben im Darm einiger Tiere (zum Beispiel Kühe oder Ziegen), die mit dieser Symbiose ihren eigenen Bedarf decken können. Das Vitamin geht auch in das Fleisch und die Milch dieser Tiere über. Allerdings werden sogenannte „Nutztiere“ heutzutage auch mit Vitaminergänzungen gefüttert, da sie (ähnlich wie wir) in einer unnatürlich hygienischen Umgebung leben (1).

Aber warum haben Menschen nicht selbst diese Bakterien im Verdauungstrakt, wenn sie das Vitamin doch brauchen?

Interessanterweise tragen viele Menschen tatsächlich genau diese Bakterien in sich – ­ allerdings im Dickdarm, wo das Vitamin nicht mehr aufgenommen werden kann. Es gibt verschieden Theorien, die das zu erklären versuchen. Es wird angenommen, dass der Mensch, bevor er so hygienisch wie heute gelebt hat, seinen Bedarf an Vitamin B12 über “dreckiges” Obst, Gemüse und Wasser aufgenommen hat. Dazu muss man wissen, dass der Bedarf an Vitamin B12 verschwindend gering ist. Nimmt man 60 Jahre lang jeden einzelnen Tag die empfohlene Dosis des Vitamins zu sich (3 Mikrogramm), dann kommt man in seinem ganzen Leben auf weniger als 0,1 Gramm Vitamin B12!

Eine andere Theorie besagt, dass unser Dünndarm früher auch die Vitamin-­B12­-Bakterien beherbergte. ­ Durch unseren modernen Lifestyle hat sich die Darmflora aber so verändert, dass das nun nicht mehr auf diese Weise funktioniert. Wissenschaftler diskutieren weitherhin, welche Theorie stimmt. Fakt ist aber: Selbst herstellen kann der Mensch Vitamin B12 nicht (mehr).

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Ist ein Mangel überhaupt schlimm?

Das Perfide eines Vitamin-B12-Mangels ist, dass er sich meist schleichend und über Jahre entwickelt. Dementsprechend unspezifisch sind auch die Symptome: Müdigkeit, Blässe, Konzentrationsschwierigkeiten und häufiges “Einschlafen” von Händen und Füßen können erste Anzeichen sein. Das liegt daran, dass Vitamin B12 unter anderem für gesunde Nervenzellen gebraucht wird.

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Manche Menschen entwickeln allerdings einen schweren Mangel, ohne körperliche Veränderungen zu spüren. Das ist ziemlich problematisch, denn die Nervenschäden, die durch einen schweren Mangel entstehen, sind nicht vollständig heilbar.
Besonders schwangere Veganerinnen müssen aufpassen, ­ denn ein Vitamin-B12-Mangel kann zu schwerwiegenden Gesundheitsschäden beim Ungeborenen führen. Gerade in Schwangerschaft und Stillzeit sollte daher großer Wert auf eine ausreichende Versorgung mit Vitamin B12 gelegt werden ­ und auch kleine heranwachsende Pflanzenesser brauchen das Vitamin!

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Wie kommt man im Alltag an Vitamin B12?

In rein pflanzlichen Lebensmitteln gibt es nicht genug Vitamin B12, daher ist eine Ergänzung absolut notwendig. In einigen Ländern (wie zum Beispiel den USA) kann man seinen Vitamin-B12-Bedarf gut mit angereicherten Lebensmitteln decken. Dazu gehören zum Beispiel angereicherte Sojamilch, Cornflakes oder Hefeflocken. In Deutschland ist dies nicht so einfach möglich. Hier gibt es zum einen weniger angereicherte Lebensmittel, zum anderen wird viel weniger Vitamin B12 zugesetzt. In Biolebensmitteln ist Vitamin B12 sogar komplett tabu – ­ wie die meisten anderen Vitaminzusätze ist es in der gesamten EU verboten (2).

Wenn man über Lebensmittel nicht genug Vitamin B12 bekommt, gibt es eine große Auswahl an Alternativen: Tabletten, Tropfen oder sogar angereicherte Zahnpasta. Wer keine Lust hat, täglich oder wöchentlich an sein Vitamin B12 zu denken, kann sich sogar vom Arzt eine Vitaminspritze geben lassen, die für etwa 2 Jahre ausreicht. Unten im Video könnt ihr euch ansehen, wie man sich die Spritze sogar selbst geben kann!

Für Kinder sind Tropfen oder Sprays besonders einfach, da man sie direkt in den Mund geben oder in ein Getränk mischen kann.
Egal, wofür man sich entscheidet: Die Empfehlung liegt für Erwachsene bei 25­-100 μg täglicher oder 2000 μg wöchentlicher Aufnahme (4).

Die Finger lassen sollte man übrigens von Algenpräparaten, da sie entweder gar kein Vitamin B12 enthalten oder Analoga, welche die Aufnahme von echtem Vitamin B12 sogar verhindern können! (5)
Auch hier wird noch geforscht – und vielleicht wird irgendwann doch einmal eine Alge, Beere oder Wurzel entdeckt, welche Vitamin B12 enthält und auch tatsächlich vom Menschen aufgenommen werden kann. Bis dieser Tag kommt, sollten sich alle Veganer aber an die oben genannten Quellen halten.

Weiß der Hausarzt Bescheid?

Es ist sinnvoll, den Vitamin-B12-Status alle ein bis zwei Jahre vom Hausarzt kontrollieren zu lassen. So stellt man sicher, dass genug Vitamin B12 im Körper ankommt. Falls nicht, kann ein Mangel rechtzeitig erkannt werden. Vorsicht: Für viele Ärzte ist die vegane Ernährung Neuland und sie haben wenig Erfahrung mit Vitamin B12. Daher ist es wichtig, dass man seinen Arzt darauf hinweist, dass der Vitamin B12 Spiegel alleine nicht aussagekräftig ist! Auf jeden Fall muss zusätzlich das aktive Vitamin B12, Holo­-Transcobalamin (kurz: Holo­-TC) getestet werden. Eine schönes Infoblatt zum Ausdrucken und Mitnehmen gibt es von der Albert ­Schweitzer­ Stiftung. (3)

Ist Vitamin B12 Mangel ein veganes Problem?

Wenn in Studien der Vitamin-B12-Status untersucht wird, fällt immer auf, dass Veganer im Vergleich zu Vegetariern und Mischköstlern einen sehr niedrigen Wert und sehr häufig einen Mangel haben. Allerdings tritt dieser auch bei langjährigen Vegetariern und Mischköstlern jenseits der 60 auf. Auch für sie lohnt sich der Gang zum Hausarzt. Gerade bei älteren Menschen wird immer häufiger ein Mangel entdeckt und viele Ärzte werden sich erst langsam der Problematik bewusst.

Heißt das jetzt, Veganismus ist unnatürlich?

Viele kennen sicher das Argument: „Wenn man als Veganer Tabletten schlucken muss, kann das ja nicht natürlich sein.“ Dabei werden allerdings ein paar Dinge vergessen. Zum einen gibt es eine ganze Menge an Vitaminen und Mineralstoffen, die auch Mischköstler im Alltag zusetzen. So bekommen Neugeborene in Deutschland Vitamin D und K, Jod wird großflächig dem Speisesalz zugesetzt und es wird empfohlen, in den Wintermonaten Vitamin-D-Tabletten zu nehmen. Auch dort stört sich keiner an der fehlenden “Natürlichkeit”.

Und vielleicht ist Natürlichkeit auch nicht unbedingt der wichtigste Faktor in unserem Alltag. Dieser hat sich inzwischen sehr weit von dem eines Höhlenmenschen entfernt. Denn seien wir mal ehrlich: ­ Wie natürlich sind Pizza, Smartphones und Klopapier?

Noch versteht die Wissenschaft die komplexen Abläufe und Wechselwirkungen im Körper nicht vollständig – es wird also in der Vitamin-B12-Forschung noch einige Überraschungen geben und man kann sich in Zukunft auf innovative Produkte freuen, die es für Veganer noch einfacher machen werden, genügend Vitamin B12 zu erhalten. Lassen wir uns überraschen!

Quellen:
(1)  Vitamine in der Tierernährung, AWT, 2001
(2)  https://www.lebensmittellexikon.de/z0000920.php#1
(3)  https://www.albert-schweitzer-stiftung.de/wp-content/uploads/Infoblatt-Vitamin-B12-2016.pdf
(4)  http://www.veganhealth.org/b12/rec
(5)  http://veganhealth.org/b12/plant#bluegreen

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